Zweieinhalb Monate arbeite ich nun schon in Peking, Zeit also, darüber zu berichten. Als Gestalter tätig zu sein bedeutet ja im Allgemeinen eher viel Ärger; mit dem Chef, mit dem Kunden und mit sich selbst, mit der Deadline, mit dem Konzept und mit der Technik. Doch der Job hat auch gute Seiten, immerhin ist es der schönste Beruf der Welt.
Ich habe nicht wirklich das Gefühl ein Praktikum zu machen. Seit dem ersten Tag bei G2S Creative Workshop war ich fester Bestandteil des Teams von Grafikdesignern, das die kreativen Kampagnen der Art und Creative Director umsetzte. Dabei wurde nicht ein einziges Mal unterschieden zwischen den Festangestellten und den Praktikanten, zwischen denen die mehrere Jahre Berufserfahrung haben und denen die noch studieren. Das bedeutet einerseits viel Druck, andererseits motiviert es, nicht als der angesehen zu werden, der noch grün hinter den Ohren ist. Mir werden dieselben Projekte anvertraut, mit demselben Anspruch. Dabei konnte ich mir in den vergangenen Monaten einen guten Überblick verschaffen wie die Agentur arbeitet und wie ich mich darin einzugliedern habe. Ich habe bereits dutzende Aufträge abgefertigt, mit jeweils unterschiedlichem Aufgabenbereich. Meist ist es nur ein Teil, der von mir zum Ganzen beigesteuert wird, es kam aber auch schon vor, das große Ganze vollbringen zu sollen. Wer jetzt gehofft hat einige meiner Arbeiten sehen zu können, den muss ich leider enttäuschen. Warum ich sie nicht vorstelle hat verschiedene Gründe, zum einen aus rechtlichen Gründen, da ich mir dafür die Nutzungsrechte besorgen müsste, zum anderen und viel schwerwiegenderen aber, weil mir bisher noch keine meiner Arbeiten 1000%ig zusprach, um voll und ganz und stolz dahinter zu stehen. Deshalb begnüge ich vorerst mit einem Baby und einem Welpen; die funktionieren ja in der Werbung bekannter Maßen am besten. Warum ich solch Zwist mit mir selbst habe, versuche ich im Folgenden näher zu erläutern.
Ein gewöhnlicher Tag in der Agentur beginnt um 09:40 Uhr. Ich mache mir einen Tee, checke die Mails und begebe mich mit meinen Kollegen zum Briefing meines Art Directors, der die Arbeit des Vortages rezensiert, Verbesserungen in Auftrag gibt und neue Arbeiten verteilt. Dann setze ich mich an meinen Apfel und lege los. Die kreative Arbeit ist dann meist schon getan und ich setze sie als Werkzeug sozusagen um. Es kommt jedoch aber auch häufig vor, selbst kreativ werden zu sollen, dann ist es ein Tanz auf dem Drahtseil. Simultan versuche ich das Projekt zu verinnerlichen, das Artwork zu konzipieren und mit all meinen Fähigkeiten umzusetzen. Das besteht aus Recherche, Skribbeln und Designen. Zwischendurch schaut mein Art Director, oder der Chef selbst vorbei, wirft alles über den Haufen, oder ist noch nicht überzeugt und lässt mich weiter an der Idee feilen, oder ist zufrieden und lässt mich woanders weitermachen. Die Arbeit ist sehr dynamisch und flexibel, kreativ eben. Am Ende muss zwar was zum Präsentieren zur Deadline fertig sein, aber zaubern können wir nicht. Ich fertige die Arbeiten also nach meinen Kenntnissen und Vorstellungen von guter Gestaltung an, funktionierend und den Gesetzen entsprechend, stets mit einer Priese Pfeffer. Dann kommt mein Art Director sieht sie sich für einen Moment an und sagt dann mit seinem spanisch akzentuierten Englisch: "Put the Logo bigger, BIGGER!" Und dann beginnt der Kampf; der Kampf zwischen dem was der Kunde sehen will, was der Art Director dem Kunden liefern will und dem was ich für gelungen halte. Am Ende trage ich den Kampf zwischen mir und meiner selbst aus.
Mir ist durchaus bewusst, dass man als Gestalter gerade in einer Agentur, in einer langen Kette von Beteiligten für einen Kunden arbeitet, den man nie zu Gesicht bekommt, man also abliefern muss, was einem aufgetragen wird und nicht, was man selbst für gut befindet. Gerade wenn man für solch große Firmen arbeitet wie Volkswagen oder Audi, hat man als kleiner Gestalter keinen Einfluss mehr darauf, wie etwas auszusehen hat; selbst dann nicht, wenn man dafür Ideen entwickeln soll. Es gibt immer Vorgaben und Erwartungen, die man zu erfüllen hat und am Ende kann man nicht mit erhobenem Finger auf die anderen zeigen und sagen, dass es anders aber besser aussehen würde. Man muss auf sich selber zeigen und sich fragen, ob man der richtige ist, als Glied dieser Fertigungskette Ideen und Konzepte viel komplexerer und größerer Dimension umzusetzen, beziehungsweise daran zu arbeiten, als man sich selber vorstellen kann. Das ist der Kampf auf dem Drahtseil den man mit sich selber führt, der die Arbeit so dynamisch, hürdenreich und aufregend macht. Stets zwischen persönlicher Perfektion und verlangter Umsetzung hin und her zu schwingen und zu guter letzt an der Erbarmungslosigkeit der Zeit daran zu scheitern in Balance zu gelangen. Dann liefert man ab, so wie man soll, nicht so, wie man es selbst gerne hätte.
Das frustriert. Es macht unzufrieden und unglücklich nicht zu dem stehen zu können, was man mit so viel Herzblut hergestellt hat und noch alles hätte können. Aber "hätte", "wollte", "sollte", "würde", "könnte", am Ende stehe ich, wie gesagt, allein und frage mich, ob das wirklich der schönste Job der Welt ist, der manchmal so hässlich zu sein scheint, wenn er geprägt ist von der Engstirnigkeit und der Unterwerfung.
Ich kann diese Frage jedoch mit "Ja" beantworten, obwohl das alles eher düster und unschön klingt. Aber gerade das macht dieses Handwerk so außergewöhnlich spannend. Jeden Tag begegne ich neuen Herausforderungen, erlebe ich denselben Kampf, doch mit unterschiedlichem Ausgang und egal wie er aussieht, er macht einen nur stärker. Ist er positiv, befriedigt er, ist er eher negativ, motiviert er. Dazu kommt noch das Umfeld. Ich sitze ja nicht in einem kleinen Kämmerlein im Dunkeln, gebräunt vom kalten Licht des flimmernden Bildschirms stets in Erwartung neuer Mails, neuer Korrekturen und Verwerfungen bis sich ein Abgrund vor mir auftut. Nein, ich sitze in einem großen, hellen, offenen Büro, mit all meinen Kollegen zusammen. Das ist zwar durchaus gelegentlich etwas laut, wenn im Hintergrund gerade ein Shooting stattfindet, nebenan ein Kunde zum Meeting begrüßt wird und die Kaffemaschine die Bohnen zermahlt, aber auch das macht den Job bunt und abwechslungsreich. Dann minimiert man eben mal kurz das Fenster des Gestaltungsprogramms, holt sich was zu trinken, oder dreht sich um und quatscht mit dem Nachbarn; legt eine Gestaltungspause ein. Denn die Atmosphäre trägt ihre gute Seele zum allgemeinen Arbeiten bei und auch wenn man mal gezwungen ist, an einem Samstag ins Büro kommen zu müssen, tut man es doch gerne, nicht nur weil man weiß, die anderen trifft es auch, sondern weil sie anwesend sind, zum Austausch, zur Inspiration, zur Kritik und zum Lob.
Der Job des Gestalters ist eine launische Diva. Sie stolziert herum in ihrem Nadelsreifenanzug und mit ihrem Aquarell bemalten Seidentüchlein um den Hals. Sie keift und grinst, sieht mal elegant aus und mal verbraucht, doch immer misteriös. Dass das zutrifft sieht man nicht nur an meinem Chef, der alle Klischees eines Creative Directors erfüllt und wie oben beschrieben durchs Büro läuft, sondern auch daran, dass er zu beneiden ist, eine so schillernde Erscheinung zu sein, mit so vielen Facetten. Das ist der Charakter des Gestalters, der es nicht ganz zum Künstler und nicht ganz zum Handwerker gebracht hat und von dem ich ganz genau weiß, dass er in mir wohnt und keimt und ich ihn täglich nähre, auf dass er bald herausbrechen möge.
Inspiriert durch hiesige Einflüsse, beispielsweise der Architektur der Großstadt und durch die lange Geschichte und Tradition Chinas, arbeite ich jedoch auch an eigenen freien kreativen Arbeiten neben meinem Praktikum. Die Ergebnisse dieser experimentellen Versuche Fotografie und digitale Bearbeitung zu plakativen grafischen Gebilden zu kombinieren, will ich nicht vorenthalten, denn mit ihnen bin sehr zufrieden.
Mehr zu dazu findet sich auf meiner Webseite hier.
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