Nein, auch dieses Mal geht es nicht um den eigentlichen Grund meines Aufenthaltes, Gestaltung, sondern um jenes schwierige Thema, das man zu Hause in Deutschland groß schreibt: Hygiene. Hier ist das ein bisschen anders, hier schreibt man es: 卫生学. Ich möchte mich nicht beklagen; nach knapp einem Monat habe ich mich gut eingelebt und komme zurecht mit den hiesigen Gegebenheiten an Sauberkeit und Ordnung. An vieles gewöhnt man sich schnell, an manches eher nicht: Sie, eine attraktive Frau, Ende 20, erfolgreich, läuft rechts vor mir auf der Straße. Sie weiß sich zu kleiden, ihre ohnehin schon langen, grazilen Beine werden durch ihre hohen Absätze noch deutlicher in Szene gesetzt und bilden, aus einem teuren kurzen Mantel hervorscheinend, zusammen mit der in der Hand baumelnden Louis Vuitton Tasche, das Bild einer scheinbar vornehmen Pekingerin. Aus heiterem (eher vor Smog stehendem) Himmel zieht sie mit einem irre lauten Saugen allen Unrat aus ihren Schleimhäuten und rotzt ihn im Weiterlaufen nach links und mir vor die Füße.
Im Supermarkt angekommen ziehe ich meinen Mundschutz vom Gesicht, in Erwartung "frischer" Klimaanlagenluft und gebe mich mit 27 Grad warmer, stickiger, nach ALLEM riechender Supermarktluft zufrieden, da er unter der Erde liegt. Dieser etwas größere Supermarkt liegt eine gute halbe Stunde Fußmarsch von meiner Wohnung entfernt, bietet dafür aber wie gesagt ALLES an, was man braucht. An der Frischfleischtheke beispielsweise, kann man sich ganz einfach selber bedienen und aussuchen, was man neben Hühnerfüßchen und -keulchen noch so alles mitnehmen möchte an Dreck, Haaren und Staub. Okay, zugegeben, später wird es ja meistens eh so lange kaputt gekocht oder fritiert, da sind sämtliche Keime und Bakterien hinüber. Außerdem: Dreck reinigt den Magen, soll man sich mal nicht so haben, und schmecken tut es ohnehin sehr, sehr gut.
Auf dem Nachhauseweg denke ich an die Schönwettertage, und wie gut es einem an solchen Tagen geht. An zu Hause denke ich just in diesem Moment nicht. Mir scheint es wirklich zu gefallen, auch wenn die Luft vor Verschmutzung zum Schneiden ist. Bisher war das Wetter wirklich gut, abgesehen vom Smog, der an 85% der Tagen über der Stadt hängt, und wenn nicht er, dann der Sand aus der Wüste Gobi. In Peking redet man nicht viel über das Wetter, sagt mein Reiseführer. Vielleicht, weil es selten über schönes Wetter zu reden gibt. Oder weil man hier das Wetter einfach selber macht. Das hatte ich als Gerücht schon einmal zu den Olympischen Spielen gehört, doch jetzt am eigenen Leib erfahren: Am 1. Oktober war Nationalfeiertag und es herrschte ein wolkenfreier, azurblauer Himmel. An jenem Morgen regnete es für knapp eine dreiviertel Stunde lang aufs häftigste Seile, sodass die Luft danach für den glorreichen Tag sauber war. Das hatten wir dem Pekinger Wettermodifizierungsbüro zu verdanken, das mit 1500 Spezialisten in Vollzeit und 37000 freischaffenden Mitarbeitern, meistens Bauern, das aufwendigste Wettermacher-Programm der Erde betreibt und mit 7113 Fliegerabwehrgeschützen und 4991 Raketenwerfern Wolken abschießt. So wird entweder (wie bei den Olympischen Spielen) das durch die Geschosse versprühte Silberjodid und Trockeneis dazu verwendet, heranziehende Wolken zum abregnen zu bringen, bevor sie Peking erreichen, oder eben, wenn sie genau darüber hängen, um die Luft zu reinigen.
An allen anderen Tagen, trägt man eben wie ich seit neuestem eine Maske, die leider nicht vor dem Gestank der öffentlichen Toiletten und des Mülls in den Straßen schützt und auch sonst etwas umstritten ist. Doch vor Verunreinigungen und Staub, durch zum Beispiel Sand oder Bauarbeiten schützt sie allemal. Man kommt wirklich gut zurecht und kann sich eigentlich nur über das fast alle zwei Tage notwendige Wischen in meinem Zimmer dank der Fliesen beklagen. Allmälich fällt einem Müll und Gestank immer weniger auf, vielleicht wird man abgehärtet, oder selber unhygienischer, je nachdem. Fakt ist, meine Toilette ist sauber und ich fühle mich wohl. Ich esse, was auf den Tisch kommt und stärke mich an dem, was mich nicht umbringt. Punkt. So viel zum Thema Hygiene. Das nächste mal geht es aber wirklich um Gestaltung, das verspreche ich hiermit.
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