Schon wieder sitze ich in der Gefühlsachterbahn. Als wäre es erst gestern gewesen, hoch und runter und hin- und hergerissen durch enge Kurven und Loopings geschleudert zu werden zwischen Heimwollen, Hierbleiben und Weiterreisen. Kaum zu glauben, dass zwischen den letzten Gefühlen dieser Art ein Herbst und ein Winter liegen. Zeit also, zurückzublicken, zu resümieren, zusammen zu fassen, was in den letzten sechs Monaten (auch wenn es abgedroschen klingt:) mein Leben verändert hat.
Gestalterisch
Bevor ich auf meinen persönlichen Eindruck eingehe, möchte ich zunächst bündeln, was mir diese Reise, genauer gesagt, der eigentliche Zweck, in Hinblick auf meine gestalterische Tätigkeit gelehrt und gezeigt hat. Ich habe bereits ausführlich über die verschiedensten Aspekte chinesischer Medien und Design erzählt, habe dargestellt, wie mein Praktikum aussah und was ich dort gemacht habe. Um mich nicht allzu sehr zu wiederholen, möchte ich deshalb eher darauf eingehen, was ich mitnehme.
Mir war es von Anfang an wichtig am Ende etwas in den Händen halten zu können, von dem ich sagen kann, so sieht chinesisches Design aus. Dazu zählen die unzähligen Flyer, Broschüren, Magazine und Poster, die ich im Laufe der letzten sechs Monate gesammelt habe, aber auch die Eindrücke und Fotos von Erlebnissen die damit im Zusammenhang stehen. Dennoch fehlte mir ein klarer Abstrich von dem, was ich daheim in Deutschland mache, nur aus chinesischer Sicht. Mir war nicht ganz klar wonach ich suchte, ich wusste nur, es soll nach Möglichkeit ein Kompedium zeitgenössischer chinesischer Gestaltung sein. Am Ende fiel es mir dann eher zufällig in die Hände, überraschte mich und traf ins Schwarze: Die in Buchform zusammengefassten Abschlussarbeiten chinesischer Designstudenten. Das war es, wonach ich suchte.
Da wären zum einen die Arbeiten aus 2013 der Shanghaier Universität SIVA (Shanghai Institute of Visual Art) und die Arbeiten aus 2012 der Pekinger CAFA, der wohl renomiertesten Kunsthochschule Chinas, der China Central Academy of Fine Arts. Die Bücher enthalten Werke aller Studiengänge, von klassischer chinesischer Malerei, über visuelle Gestaltung, Multimedia, Fashion Design, Produktdesign, Fotografie, Animation bis Architektur. Alles aus der Hand junger chinesischer Gestalter, die in ihren Kreationen Tradition und Moderne, Ost und West verbinden.
Man erhält einen übersichtlichen, aber beeindruckenden Auszug aus dem Potential der Generation und der Kultur dieses Landes, die sich keinesfalls zu verstecken braucht. Dass China in Sachen Film Können beweist, zeigt die letzte Berlinale. Der diesjährige Goldene Bär ging an einen chinesischen Beitrag. Es wäre schön, auch in anderen Künsten mehr aus China in der Welt zu sehen. Zuletzt begegneten mir immer wieder Plakate chinesischer Künstler im Wettbewerb "Mut zur Wut", in denen Kritik visuell frei geäußert werden soll und dabei beschränkten sich die chinesischen Plakate nicht nur auf chinesische Probleme. Mit meinen Eindrücken und den Materialien die ich nach Hause bringe, möchte ich auch daheim weiter nach Gestaltung des Reichs der Mitte forschen und vor allem andere daran teilhaben lassen.
Es war einer meiner Wünsche, dass meine zukünftige Arbeit von dem Gesehenen hier in China maßgeblich beeinflusst wird. Ob mir das gelingt, ob es sinnvoll ist, wird sich zeigen, wenn ich mein Studium wieder aufnehme. Chinesische zeitgenössische Gestaltung ist stark geprägt von westlichen Einflüssen; die Abschlussarbeiten zeigen teilweise viel nackte Haut, teure Garderoben und luxuriöse Inneneinrichtungen, da ist es nicht ganz einfach einen Ansatz zu finden, eigene Arbeiten daran anzuschließen, ohne gestalterisch weiter nach Hinten in Chinas Vergangenheit gehen zu müssen, um markante visuelle Reize auszumachen. Es steht noch aus, ob sich meine Arbeitsweise geändert hat, denn auch die Arbeit während meines Praktikums war, wie ich berichtete, sehr westlich orientiert. Es wird also eher eine Haltung, ein Gefühl, ein Bild im Kopf sein, dass sich in mir verankert hat, dessen Einfluss noch nicht bekannt ist. Vielleicht hat es nur den Zweck gezeigt zu werden und aufzuklären, denn das ist eine meiner Hauptaugaben, die ich mir gestellt habe für die Zeit nach meiner Rückkehr.
Aufklärung war auch hier immer Bestandteil meiner Aufgaben. Das Wissen, was Chinesen über Deutsche und Deutschland haben entsprach nicht immer dem politisch korrekten Bild, weshalb ich mich des Öfteren dazu berufen fühlte einiges über abgebildeten Herren klar zu stellen. Aber meistens schlummerte die richtige Ansicht bereits im Inneren, war nur eingestaubt und eingeschüchtert von den großen Errungenschaften wie der Autobahn und Volkswagen. Autos waren generell immer des Chinesen erster Gedanke, wenn sie an Deutschland dachten. Meist teuer, schick, elegant und qualitativ hochwertig. Den gleichen Eindruck hatte ich von so vielen Einkaufsmöglichkeiten und Produkten hier in China. Man kann wirklich nicht sagen, Alltagsgegenstände wären hässlich und qualitativ schlecht. Man kommt hier (auch wenn es vorhanden ist) sehr gut ohne IKEA aus, wohingegen ich in Deutschland oft den Eindruck habe, es gäbe keine Alternative.
Qualität in allen Bereichen, sowohl visuell als auch materiell; gestalterisch kann China einiges leisten, auch wenn das Vorurteil besteht, es würde nur kopiert werden. Mag sein, aber auch Kopieren ist eine Kunst, wenn sie am Ende vom Original nicht zu unterscheiden ist. Und da wir einen Großteil unserer Produkte in China herstellen lassen, und von ihnen hohe Qualität erwarten, ist es klar, dass Chinesen dazugelernt haben, ihre eigenen Produkte besser zu fertigen.
Es gitb allgemein so viele Vorurteile über China, da fällt es schwer sie alle zusammenzufassen. Auch über Gestaltung hinaus möchte ich daheim einiges über China aufklären. Das Land ist kurios, keine Frage, aber lange nicht so furchtbar und fremd wie es bei uns den Eindruck macht. Persönlich haben mich die letzten sechs Monate jeden Tag aufs neue beeindruckt, zum Staunen und zum Lachen gebracht, zum Grübeln und zum Wundern, wie einzigartig Land und Leute doch sind. Ich möchte im Folgenden eher auf meine persönliche Zusammenfassung eingehen, wie China mich verändert hat.
Dazu möchte ich zunächst ein paar Bilder sprechen lassen, die mich an unglaubliche Momente erinnern, die ich nie wieder vergessen werde:
Persönlich
Ich versuche mich kurz zu fassen, was in Anbetracht der erlebten Zeit eine Mamutafgabe ist. Mag sein, dass ein kürzerer Aufenthalt nicht denselben Eindruck hinterlässt, wie ich ihn jetzt habe, aber auch diejenigen, die mich hier besucht haben, meine Familie und mein bester Freund, waren nach den kurzen Tagen mehr als erstaunt, wie anders es sich doch anfühlt, wirklich hier zu sein. Ich kann jedem nur ernsthaft empfehlen mindestens ein mal im Leben nach China zu reisen, vor allem nach Peking. Mein kurzer Besuch in Shanghai war intensiv und sehr schön, hat aber gezeigt, dass ich Peking Shanghai definitiv vorziehe. Shanghai ist nicht nur wärmer und feuchter, sondern auch westlicher und noch kommerzieller, als Peking. Peking ist keinesfalls die Essenz Chinas; gerne wäre ich mehr rumgereist, hätte mehr gesehen, mehr Leute getroffen, denn China ist so gigantische groß und dabei so vielfätig wie die einzelnen Staaten Europas. Dennoch vereint die Stadt das bunte China, die unterschiedlichen chinesischen Minderheiten, Geschichte und Gegenwart, Politik und Kultur, wie keine andere. Ich habe unzählige Plätze und Orte in Peking gesehen und besucht, verborgene Stätten und berüchtigte Gegenden und habe dennoch nicht alles gesehen. Zugegeben, vieles sieht nach einer Weile gleich aus, aber wer dann genauer hinsieht, erkennt, dass sich an jeder Ecke neues finden lässt.
Ich habe so viele Leute getroffen und kennengelernt, mit ihnen gegessen, getanzt und gelacht. Ich kam alleine her und gehe mit dutzenden. Dabei habe ich jetzt nicht nur Freunde aus Peking, sondern aus ganz China; aus Harbin, Guangdong, Shandong und Hunan, sowie über Chinas Grenzen hinaus aus Frankreich, Großbritannien, Spanien, den USA und Australien und alle machen mir den Abschied nicht leicht. Lediglich das Wissen, man sieht sich immer zwei mal im Leben, lässt aus den Tränen des Abschieds, Tränen der Freude werden und dank Social Media, Facebook, WeChat und co. bleiben sogar die Tränen erspart, da man dann zu Hause zu jeder Tages- und Nachtzeit einen Freund irgendwo auf der Erde erreicht.
Ich habe so viel gelernt, ich denke kein Unterricht könnte mich das lehren. Nicht nur sprachlich habe ich mein Chinesisch ein bisschen verbessert (leider nicht so sehr wie ich es mir erhofft hatte, dazu sprachen meine Freunde alle einfach zu gut Englisch) sondern auch eben mein Englisch wurde aufpoliert. Ich habe gestalterisch dazugelernt und zwischenmenschlich einiges an Erfahrung gesammelt. Ich habe das Gefühl freier zu sein, unabhängiger, nicht mehr so Berlin-fixiert zu sein. Ich wurde in Toleranz und Rücksicht belehrt (wenn auch nicht immer in positiver Hinsicht), bin achtsamer geworden und selbstbewusster. Ich habe einiges über Gastfreundschaft gelernt und über Vergebung, über Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit. Ich weiß, dass ich in Zukunft vieles anders machen werde und sich trotzdem nichts ändern muss.
Auch wenn ich mir ehrlich gesagt nicht vorstellen könnte hier länger zu bleiben, weil mir dazu einfach der Anker fehlt, der die Abstriche, die ich für meinen Lebensstil als Westler nun mal machen muss, wett macht. Dennoch weiß ich jetzt schon, dass ich wiederkommen werde. Vielleicht nicht für so lange, aber um Alle und Alles wiederzusehen, was mir so wichtig geworden ist. Ich habe mich rundum zu jeder Zeit wohlgefühlt und niemals allein oder unumsorgt. Mir wurden so viele Komplimente gemacht wie noch nie zuvor und auch noch nie wurde mein Selbstwertgefühl so hochgeschraubt, wie in den letzten sechs Monaten. Ich kann nur jedem empfehlen, der Schwierigkeiten mit der Selbstachtung hat, nach China zu kommen. Chinesen sind eines der freundlichsten und entgegenkommendsten Völker, die ich je kennenlernen durfte. Zu unrecht haben sie mir viel zu oft das Gefühl gegeben etwas besseres zu sein, weil ich aus dem Westen komme und weiß bin. Ich habe die liebenswürdigsten Menschen kennengelernt, die mir so nahe stehen, weil sie auf unglaubliche Weise so natürlich sind, wie ich selten Menschen erlebt habe.
Ich weiß jetzt schon, dass ich erst wieder eine Weile brauchen werde, mich daheim einzuleben, mit Allem und Allen klarzukommen und einen Alltag zu finden. Ich weiß auch jetzt schon, dass mich die Sehnsucht nach China schneller wieder packen wird, als mir lieb ist und dass ich auch gerne so viele andere Orte sehen möchte, dass es mir schwer fällt an mein Studium zu denken. Jetzt ist es also schon wieder vorbei. Jetzt müssen die Koffer wieder gepackt werden. Und auch wenn ich mir sorgen mache, nicht alles ins Gepäck zu bekommen, steht eines fest: Ich habe durch andere Ernährung und eine neu gefundene Liebe zum Laufen nicht nur unglaublich viel Gewicht verloren, sondern auch die eine Hälfte meines Herzens; die muss nicht ins Gepäck, die bleibt hier.
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