IMG_20131027_161834 Glaubte man Douglas Adams, könnte man meinen, auch im Bereich der Kunst lautete die Antwort auf die Frage nach dem Sinn: 42. Doch das trifft vielleicht auf Europa zu. Es überrascht nicht, dass in China andere Maßstäbe gelten. Hier lautet die Antwort: 798.

IMG_20131027_161946 "798", genauer gesagt: 七九八 (qī jiŭ bā), ist der geheimnisvolle Name des Pekinger Kunstviertels auf einem ehemaligen Fabrikgelände und beherbergt heute dutzende Gallerien, Geschäfte, Cafés, Restaurants und Ausstellungen. Beim Durchwandern der kleinen Straßen und Gassen fühle ich mich stark ans hippe, szenige London oder mein Berlin erinnert. Alles sehr pragmatisch und martialisch umgewandelt, um den Ansprüchen der  hier arbeitenden und lebenden Künstler gerade gerecht zu werden, ohne besonders viel Aufwand betrieben oder Geld ausgegeben zu haben. Klar gibt es einige hochmoderne und schneeweiße, nahezu sterile Gallerien, doch größtenteils trifft hier rohes Metall und nackter Beton auf fragile Kunst. Man könnte fast meinen selbst der Selbstläufer von Gentrifizierung einiger Metropolen sei hier konzentriert an einem Ort nachempfunden worden, um eben den Hipsterhochburgen in Nichts nach zu stehen, doch da ist man ganz falsch gelegen. Vertrieben vom alten, zerstörten Sommerpalast, wo die Autorität die mit Argusaugen beobachteten Künstler nicht haben wollte, suchten eben diese Zuflucht im Dashanzi-Gebiet. Die ehemalige, von unter anderem 150 Ingenieuren und Facharbeitern aus der DDR 1956 entworfene und erbaute Fabrik, die Funkradios für die Volksbefreiungsarmee herstellte, war geheim und trug deshalb nur den Namen "798". Der Ort eignete sich also gut, da auch viele Jahre nach der Schließung niemand so genau wusste, was dort eigentlich passierte.

 

IMG_20131027_161755 Geblendet vom trendigen Look des Viertels, von den multikulturellen Besuchern und der Aktualität der Kunst, vergesse ich für einen Moment in China zu sein. Ich hatte etwas anderes erwartet, als die vorgefundene Freizügigkeit und Ausgelassenheit. Beim betrachten des oben abgebildeteten Kunstwerkes in einer der Gallerien verlässt mich mein Irrglaube vollständig. China hat sich gewandelt, ist offener geworden und im hier und jetzt des 21. Jahrhunderts angekommen; sogar in der Kunst, nicht nur in der Wirtschaft. Der Besuch in "qī jiŭ bā" war auf ganzer Linie eine Bereicherung. Nicht nur viele Eindrücke und Inspiration konnte ich sammeln, sondern auch das moderne Gesicht eines Landes, vielmehr seiner prächtigen und sonst sehr stramm stehenden Hauptstadt sehen. An einem einzigen Tag, schafft man es gar nicht, die größte Ansammlung an Gallerien an einem Ort der Welt zu erkunden, ich werde also noch einige Male wiederkommen.

 

IMG_20131027_162041Neben meinem Praktikum versuche ich auch im Alltag stehts die Augen für Gestaltung und Kunst offen und nach guten, sowie koriosen Beispielen Ausschau zu halten. Empfohlen wurde mir in diesem Zusammenhang eine zur Zeit stattfindende Doppelausstellung im China Central Academy of Fine Arts Museum: Beuys / Warhol! Diese Abgründe auftuende Kombination von Künstlern und Kunst zog sofort meine Aufmerksamkeit auf und meinen Besuch nach sich.

IMG_20131027_162203 Den König der Pop-Art mit einem deutschen, idealtypischen Gegenspieler unter einem Dach gleichzeitig auszustellen, überraschte mich nicht. Es zeugt viel mehr vom typisch chinesischen Verlangen, Gegensätzliches zu kombinieren: Kunst süß-sauer, so zu sagen. Ich versuchte also neben dem Bestaunen von Marilyn Monroe, Campbell's Suppendosen und Fluxus-Manifest, auch den Rahmen, das Drumherum zu erfassen. Als erstes fiel mir auf, dass ein bedeutendes Werk von Warhol fehlte: Mao. Im nachhinein laß ich, dass die Ausstellung die Zensur passieren musste, und diese Darstellungen von Mao ihr erlag. Es gibt sie also doch noch, die Einschränkung der freien Meinung. Das Bild des modernen, offenen Chinas aus "798" wird dadurch aber nicht getrübt. Genauso wenig verfehlte die Ausstellung die Vorliebe der Chinesen und unterstrich noch mal meinen Eindruck, den ich bisher ausbildete: Die Chinesen lieben es bunt! Pop soll es sein. Nicht nur beim Karaoke werden immer wieder die gleichen alten großen Hits geschmettert, nein, auch in der Kunst ist Robert Indianas knallig fetter und roter "LOVE"-Schriftzug immer noch der Renner. Beuys' eher aktivistische Kunst ist dagegen eher fade, was man nicht zu letzt daran erkennt, dass diese Ausstellungsräume eher leer sind.

IMG_20131027_162307 Dennoch erweckte auch dieser Teil des Museums den Eindruck, das Interesse der Chinesen für gehaltvolle Kultur ist da. Das kann man leider (ist in Deutschland aber nicht anders) im Alltag, wenn es um Werbung geht, oder um Handy-Accessoires, nicht sagen. Da dominiert das Bestreben nach Aufmerksamkeit getreu dem Motto: Je bunter, peppiger, schicker, teurer, desto besser. In vielen Bereichen gelten Gegenstände vor allem als Statussymbol. Auch das ist zwar in Deutschland nicht anders, findet hier jedoch sein Extremum. Das fängt an bei dicken, schweren Autos und endet beim iPhone. Ich habe nicht gezählt, aber schätzungsweise 90% der Chinesen haben ein iPhone. Vor allem, weil es alle haben, okay, verstehe ich, aber in einer giftgrünen Plastikhülle, die an allen Seiten fünf Zentimeter über das Gerät hinausragt und im Gesamteindruck einen Frosch mit iPhone-Körper darstellt, lässt mich, Status hin oder her, zweifeln, was Geschmack betrifft.

IMG_20131027_162426 Das ganze etwas objektiver zu betrachten, versuche ich in meiner Unternehmung "Flyersammeln". Was ich in Deutschland schon gerne mache, soll auch hier am Ende meiner Reise als ein brauchbarer Gesamteindruck chinesischer Alttagsgestaltung mit nach Hause genommen werden. Hier also eine kleine, durchmischte Auswahl von gelungenen und eher weniger reizvollen Handzetteln, die mir in die Finger kamen. Dabei fiel mir auf, dass die Gegebenheiten dieselben wie in Deutschland sind: Bewirbt ein Flyer Kunst und Kultur sieht er selbst dementsprechend angemessen aus. Behandelt er jedoch hingegen das Menü eines Lieferservice, lässt es in Sachen ansprechendem Design mehr als zu wünschen übrig. Klar, es gibt Ausnahmen, doch die sind selten. Das liegt natürlich unter anderem daran, dass gute Gestaltung kostet: Zeit und Geld. Ein Schnellimbiss ist meistens schnell und günstig, hat also weder das eine, noch das andere.

Die Kunst liegt also darin, vor allem auf Grund der Kurzlebigkeit eines Flyers, die Waage zwischen Visuellem für das Auge und Informativem für das Gehirn zu halten und so zu verpacken, dass der Betrachter sich schließlich mit dem auseinandersetzt, was der Handzettel bewirbt. Da kommt es natürlich darauf an, welche Zielgruppe man anspricht, denn mit dieser entscheidet sich auch zum Großteil das aussehen; Ein intellektueller und kunstversierter Mensch würde sich wohl eher weniger von der Joseph Beuys Austellung angesprochen fühlen, wenn sie mit dem Flyer rechts oben, oder darunter beworben werden würde.

Das Projekt "Flyersammeln" läuft also noch und zeigt neben der Parallele zu deutschen Flyern bisher noch kein weiteres, konkretes Ergebnis. Ich werde also mit den groben Eindrücken aus "qī jiŭ bā", von der Warhol / Beuys Ausstellung und den bisherigen Flyersammelerfolgen weiter Ausschau halten. Ob der Code der Kunst letztendlich tatsächlich durch "798" repräsentiert wird, als Aushängeschild zeitgenössischer, chinesischer Kunst, durch eben solche Ausstellungen gegensätzlicher Künstler, oder durch die einfachen Handzettel, die an jeder Straßenecke verteilt werden, lässt sich (noch?) nicht genau sagen. Vielleicht ist es auch die Summe aus diesen einzelnen Summanden. Ich werde mich weiter intensiv damit auseinandersetzen und berichten, auch in Hinblick auf die Medien, was mitunter an sich schon ein schwieriges Thema in China ist, also Spannung verspricht. Wir werden sehen.