IMG_20140302_172249 Der Winter hat Peking fest in der Hand. Es ist klirrend kalt und dennoch hat es bisher nicht geschneit. Seit nun mehr vier Monaten fiel nicht ein Tropfen oder eine Flocke vom Himmel, die Stadt ist trocken wie Dörrfleisch. Dennoch liegt der Gedanke nicht fern, ich bewegte mich auf dünnem Eis, wenn ich ein Thema anschneide, dem nachgesagt wird, es werde in China unterdrückt, kontrolliert und zensiert: Die Medien. Genauer gesagt, geht es um den Konsum der chinesischen Medien, wie ich ihn erlebe und wie Freunde und Bekannte ihn sehen. Ich habe mit einigen Leuten gesprochen, die teilweise der gleichen Ansicht waren, darunter auch die Feststellung, sie hätten sich noch nie großartig Gedanken darüber gemacht. Ich habe einige Überraschungen erlebt, bin auf Hindernisse gestoßen und war oft verärgert, denn vor allem Ausländern wird es nicht leicht gemacht, aus unserer Sicht.

Alle Freunde, mit denen ich gesprochen habe, habe ich gefragt, welches Medium aus ihrer Sicht das wichtigste wäre und alle waren sich einig: Für unsere Generation ist auch in China das Internet Dreh- und Angelpunkt im sozialen Umfeld, im Job und privat. Lediglich für den älteren Teil der Bevölkerung seien Zeitung, Radio und Fernsehen immer noch die wichtigsten Informationsquellen. Da jedoch der größte Teil der chinesischen Bevölkerung aus jungen Menschen besteht, ist das Internet Medium Nummer eins. Alleine für die Kommunikation untereinander: Keine Nation schreibt so schnell und so viele Kurznachrichten wie China. Die Überschrift ist ein gängiges Emoticon und zeigt ein grinsendes Gesicht mit beiden Händen im Victory-Zeichen neben dem Kopf. Im Ausland herrscht die gängige Ansicht, Chinas Regierung kontrolliere und blockiere das Internet und würde damit gegen die Menschenrechte verstoßen, wie die Meinungs- oder Informationsfreiheit. Ich denke, ich muss nicht mehr als "NSA" sagen, um auf diejenigen zu zeigen, die eine Menschenrechtsverletzung in bis dato unbekannten Ausmaßen zu verantworten haben. Versuchen wir also, Vorurteile und alles was wir bisher über China in Bezug auf Medien und Menschenrechte wussten, außer Acht zu lassen, und differenzierter, objektiv die Lage zu betrachten.

Mich interessiert vor allem, wie Chinesen selbst ihre Situation sehen, ob sie unzufrieden sind, wenn sie auf andere Nationen und deren Medienlandschaft schauen, oder ob sie sich eingeschränkt fühlen, nicht auf alle weltweit verfügbaren Inhalte zugreifen zu können. Die Antwort ging bei fast allen in die gleiche Richtung: Nein. In China sind zwar solch markante Seiten wie Google, Facebook und co. gesperrt, dennoch gibt es aber für jede dieser Webseiten eine chinesische Alternative. Die Regierung verbietet also nicht generell den Zugriff auf Informationen oder den Austausch mit anderen, sondern schränkt lediglich die Mittel ein. Bei meiner Arbeit im Büro stoße ich regelmäßig auf Hindernisse, da ich ohne VPN, das heißt ohne verschlüsselten Tunnel über andere Server in anderen Ländern surfe. Ich bin es gewohnt, wenn ich nach Videos suche auf YouTube zu gehen, oder allgemeine Suchen über Google auszuführen. Google ist zwar zu erreichen in China, undzwar die Hong Kong Version, funktioniert aber sehr oft nicht, beziehungsweise zeigt Suchergebnisse an, die dann nicht abrufbar sind. Das hat mich schon das ein oder andere Mal auf die Palme gebracht. Doch schließlich bin ich zur Erkenntnis gekommen, nicht zu hinterfragen, warum China diese Seiten blockiert, sondern mein Surfverhalten in Frage zu stellen. Ich musste feststellen, dass ich abhängig bin. Abhängig nicht im Sinne einer Sucht, sondern von den gängigen Platformen im Web. Ich benutze sie täglich, finde mich damit zurecht, und habe mich daran gewöhnt, weil es bequem und schnell ist. Damit bin ich nicht der einzige, denn denken wir kurz nach: Warum sind Facebook und Google solch gigantische Konzerne mit derlei potenzieller Macht? Weil sie es geschafft haben, die Menschheit auf sich zu konditionieren, sie abhängig von sich zu machen. Ich verstehe die chinesische Blokade nun eher als eine Wehrmaßnahme der Regierung gegen den Versuch von (vor allem amerikanischen) Internetkonzernen eine weltweite Vorherrschaft im Netz zu erlangen. Seien wir ehrlich: auf dem Großteil der Welt haben sie es geschafft.

IMG_20140302_172852 Dass die Zensur in China natürlich auch Schattenseiten und Ungerechtigkeiten aufweist ist klar, aber im Groben habe ich den Eindruck, ist sie Mittel der chinesischen Politik vor allem nach außen. Es gibt wie gesagt für alle westlichen Webseiten ein chinesisches Pendant, mit den gleichen Funktionen und Möglichkeiten. Inwieweit sich Individuen auf diesen Seiten frei äußern dürfen ist fraglich und nicht leicht zu klären. Die Regierung überwacht das Internet (nur zur Erinnerung, das ist ja wie wir heute wissen, keine Ausnahme) und schreibt Internetprovidern vor, spezielle Software zu installieren, mit denen sich der Verkehr steuern und einsehen lässt. Der Umgang mit Vergehen, mit Meinungsäußerungen, wenn sie denn entdeckt werden, ist eine andere Sache, aber prinzipiell gilt, dass das Internet ein gigantischer Dschungel ist, für dessen Überwachung es eben einer NSA bedarf. An diesem Punkt erklärten mir viele Freunde, China sei viel offener geworden. Man hätte heute mehr Freiheiten als je zuvor und könne auch seine Meinung frei äußern. Es gäbe sogar einige Nachrichtenagenturen, beziehungsweise Zeitungen, die nicht direkter Kontrolle unterzogen sind. Normalerweise beziehen alle Informationsanbieter dieselbe Quelle, die zentrale chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Von dieser, direkt der Regierung zugehörigen Nachrichtenagentur bezieht auch der Großteil des Auslands seine Informationen über China. Dazu ein Beispiel:

Vor einigen Wochen ereignete sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens ein Terroranschlag, der zunächst, wie ich den deutschen Nachrichten entnahm, ein Unfall gewesen sei und nur wegen des brisanten Ortes in die Schlagzeilen geriet. Erst später wurde bekannt, dass es ein Anschlag einer chinesischen Untergrundorganisation aus dem Nordwesten war. Unmittelbar nach dem das Auto auf dem Platz gegen eine Mauer gerast und lichterloh in Flammen aufgegangen war, wurde der Platz geräumt und Journalisten, die zufällig vor Ort waren und Fotos machten, verhaftet. Die Situation wurde zunächst eingefroren. In den deutschen Meldungen habe ich dann gar nicht viel mehr darüber gelesen, was meine Annahme über die chinesische Medienzensur nur unterstreicht: Sie dient als Werkzeug vor allem nach außen. Der Vorfall sollte nicht vertuscht werden. In den chinesischen Nachrichten wurde nach Aufklärung ganz offen darüber berichtet, nur nach außen sollten nicht zu schnell zu viele Informationen gelangen.

Es ist Teil der chinesischen Politik unnahbar zu sein. Für uns sieht das aus wie Unterdrückung und Zensur, in Wahrheit jedoch, schützt sich die chinesische Regierung davor, der Welt ausgeliefert zu sein und wie ein offenes Buch da zu liegen. So gelingt es China nämlich, einen solch mächtigen Gegenpol zu den USA zu verkörpern, ganz ungeachtet der wirtschaftlichen Leistung des Landes. In Bezug zur Politik haben mir die Leute Unterschiedliches erzählt. Viele sagen, sie machten sich darüber nie Gedanken, einige wenige reden mit anderen darüber, behalten ihre Meinung aber lieber für sich. Da geht es aber teilweise eher um das eigene Ansehen vor den Menschen im Umfeld, als um die Kritik am System. Der Druck, den das soziale Gefüge ausübt, ist teilweise viel größer als der Druck der Regierung (die das natürlich aber auch für sich ausnutzt und Meinungsbilder vorgibt).

Aber kommen wir zurück zum eigentlich Konsum der Chinesen. Mich interessierte, wie die Medien aussehen und was sie ausmacht. Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass sie sich in keinster Weise von unseren westlichen Medien unterscheiden. Gerade beim Vorbeigehen am Kiosk, mit Blick auf die Printmedien, gelten die gleichen Maßstäbe wie bei uns: "The bigger, the better" und "Sex sells". Freizügigkeit wohin das Auge sieht. Schönheitsideale, Trends, Dos and Don'ts. Chinesen interessiert dieselben Alltagsprobleme und denselben Klatsch und Tratsch wie uns. Beim Durchblättern eines 200-Seiten Magazins, das auch vom Gewicht eher einem Bildband nahekommt, für umgerechnet aber gerade einmal zwei Euro, fällt sogar auf, Status, Geld und Schönheit sind in China noch relevanter als in Deutschland.

Beim Fernsehen sieht es ähnlich aus. Die Inhalte, seien sie kontrolliert oder nicht, zeigen denselben Schund wie im Westen, Spielshows allen voran. Aber auch Serien sind sehr beliebt. Neben den chinesischen Eigenproduktionen an Filmen und Serien, gibt es auch eine Reihe weitverbreiteter westlicher Inhalte, die sowohl im Fernsehen, als auch im Kino jedoch nie synchronisiert, sondern immer nur untertitelt werden. Das liegt aber an der Verfremdung; ein Chinesisch sprechender Brad Pitt sieht auch für Chinesen lächerlich aus. Alle Kinofilme müssen jedoch zuerst die Zensur passieren und erscheinen deshalb meist viel später als bei uns, aber immerhin erscheinen sie. Anders als bei uns ist Zeitpunkt und Umstand des Konsums von Bewegtbildern. Die Flimmerkiste läuft auf dem Bahnsteig, im Bus und im Imbiss, wie beim Essen mit der Familie daheim und sogar im Restaurant. Es gilt nicht als unhöflich den Fernseher laufen zu lassen, wer nicht will, ignoriert ihn einfach. Genauso ist es mit dem Handy. Zu simsen, zu spielen, Videos zu sehen, Musik zu hören oder zu telefonieren, ob am Steuer, in der Bahn oder zu Tisch: Stets lautstark, damit alle was davon haben. Und wenn der Nachbar lauter ist, macht man selbst einfach noch lauter. Die Nutzung des Mobiltelefons ist dabei noch frequentierter als bei uns. Gerade in den öffentlichen Verkehrsmitteln wird jede Sekunde damit verbracht Medien unterschiedlichster Art zu konsumieren und damit auch nicht aufzuhören, wenn man aussteigt und gegen andere Fahrgäste oder die Rolltreppenabsperrung prallt.

Ich habe viel über Chinas Medienverhalten und -konsum gelernt und bin heute ganz anderer Auffassung als früher. Ich sehe die Gegebenheiten eher auf meine Situation bezogen kritisch; klar macht es mich rasend, wenn blokierte Seiten nicht laden, oder irre lange brauchen, da eine schlechte Verbindung besteht, und ich möchte auch nicht auf Facebook und YouTube verzichten. Doch China hat mich gelehrt, wie abhängig ich davon bin, und während ich zu Beginn Angst vor Chinas undurchschaubare Medienzensur hatte, habe ich jetzt Angst vor der schier gewaltigen Machtposition einiger Webseiten und deren baldige Übernahme der Weltherrschaft nach Unterwerfung der Menschheit. Dann werden nur die Chinesen lachen.